MARKEN SIND GESTALTSYSTEME

Die Marke ist ein Bedeutungsträger und impliziert die Markenidee und

-werte. Dieser Inhalt der Marke wird nicht nur durch den Markennamen oder das Logo kommuniziert, sondern durch sämtliche wahrnehmbaren Lebensäusserungen der Marke. Das Äussere zeugt sozusagen vom Inneren. Damit eine Marke ihre maximale Anziehungs- und Identifikationskraft entfalten kann, soll sie als höchst authentisch wahrnehmbar sein. Dazu muss jedes Stilmerkmal der Marke  –  von den klassischen «4 Ps», über die Mitarbeiter, die Raumgestaltung bis hin zum servierten Getränk – zum Markeninhalt passen und vollgültig das Ganze repräsentieren. Genauso wie uns anhand eines Eichenblattes sogleich der ganze Eichenbaum vor dem inneren Auge erscheint. Das Ziel der Markenführung ist demnach die unverwechselbare, konsistente Ausprägung des eigenen Stil- und damit Erfolgsmusters. Wie geht das?

 

Der Mensch verfügt über einen hoch entwickelten Kompositionssinn. Mithilfe all unserer Sinne sind wir in der Lage festzustellen, ob das Eine zum Anderen passt. Das zeigt sich beispielsweise, wenn wir für einen guten Freund ein möglichst passendes Geschenk kaufen wollen. Wenn wir uns fragen, ob eine Geschenkidee zu ihm passt, ist das genau dasselbe, wie wenn wir entscheiden, ob eine Preisentscheidung, die Gestaltung einer Einladungskarte oder der Stellenbewerber zur Marke passt oder nicht. Diese Frage nach der Passung scheinen wir aus dem Bauch heraus meist richtig beantworten zu können. Genauso geht es in der Markenführung stets darum, zu fragen, ob eine neue wahrnehmbare Äusserung zum bestehenden Inhalt der Marke passt.

 

Während die Markenidee und -werte unverändert bleiben müssen, kann der stilistische Code sanft variieren – aber stets nur ähnlich zur Marke, damit sie nicht versteinert. Schliesslich ist die Marke ein lebendes Gestaltsystem. Treu dem Prinzip der Selbstähnlichkeit folgend, hat beispielsweise Maggi die Form seiner Würzflasche seit 1887 nur sanft der Zeit angepasst. Das Nivea-Logo sieht seit 1925 sehr ähnlich aus. Der Geschmack von Coca Cola wurde während 130 Jahren nur minimal verändert. Oder «Haribo mach Kinder froh» erklingt seit 1935; 1965 wurde «und Erwachsene ebenso» ergänzt. Selbstähnlich evolvierte Markensysteme scheinen darüber hinaus weitgehend antifragil gegenüber veränderten Umwelt- und Marktbedingungen zu sein.

 

Wer dagegen fremdähnliche Stiländerungen zulässt, kann leicht die soziale Anziehungskraft von Marken schwächen, denn Stilinkonsistenz führt zu instinktiver Ablehnung. Das hat oft wirtschaftliche Konsequenzen. Wer beispielsweise seine Hochpreisstrategie lockert und für die Marke ungewöhnlich hohe Rabatte gewährt, kann vielleicht mehr verkaufen, aber möglicherweise weniger verdienen. Das bewegt die Marketingabteilung oft zu neuartigen, besonders kreativen Werbemassnahmen. Diese erneute Stiluntreue kostet nicht nur noch mehr Geld, sie lockt genauso wie die gesunkenen Preise atypische Käufer an. Folglich wendet sich die idealtypische Kundschaft zusehends ab. Und weil die neuen Konsumenten nicht mehr bereit sind, einen Premiumpreis zu bezahlen, werden preiswertere Neuprodukte entwickelt. Sinkende Preise und Qualitäten schmälern in der Folge die exklusive Wahrnehmung und verwehren einem möglicherweise bald den Zugang zum angestammten, gehobenen Fachhandel. Und so dreht sich diese Abwärtsspirale weiter, katalysiert durch fremdähnliche Entscheidungen.

© 2015-2019 andreas kramer